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Krippenweg 2021 – Grußwort unseres Pfarrers

Der Heimat- und Trachtenverein Adlkofen hat bedingt durch die Coronakrise heuer einen Krippenweg mit 31 Haltestellen organisiert. Dafür danke ich den Mitgliedern und bringe meine Freude über diese Möglichkeit des „Krippenschauens“ zum Ausdruck.
Fragt man nach der Geschichte der Weihnachtskrippe, so erfährt man seit dem Mittelalter von Darstellungen des gesamten Lebens Jesu von der Krippe bis zum Kreuz, die das Nachempfinden der Heilsgeschichte möglich machte. Nicht nur als Bilder, sondern auch in Form von Passions- oder Weihnachtsspielen dienten sie der Erbauung der Gläubigen. Ins private Wohnzimmer ist die Krippe dagegen erst vor etwas mehr als einhundert Jahren gewandert.
Historisch gesehen handelt es sich bei den Kindheitserzählungen um die jüngste Schicht neutestamentlicher Überlieferung. Sie wurden erst in der vorliegenden Form aufgeschrieben, als es längst Texte über Tod und Auferstehung, über Wort und Tat Jesu von Nazaret gab. Gerade deshalb aber sind sie eine Art zusammenfassender Deutung von Jesu Leben. Jedes einzelne Motiv ist theologisch bedeutsam.
Eine Krippe – oder genauer: eine gemauerte oder aus einem Stein ausgehauene Futterstelle – kennt nur das Lukasevangelium. Maria legt Jesus in die Krippe (Lk 2,7), der Engel nennt sie den Hirten als Erkennungszeichen (V.12) und die finden die Krippe (V.16). Da das Wort wie ein Refrain wiederholt wird scheint Lukas es für besonders wichtig zu halten.
Die lukanische Weihnachtserzählung ist sehr kunstvoll aufgebaut: Sie besteht aus drei Teilen (Geburt Jesu (Vv. 1-7); Verkündigung der Geburt (Vv. 8-14); Bestätigung der Verkündigung (Vv. 15-21), die jeweils wieder drei Abschnitte haben. Der mittlere Teil ist jeweils der wichtigste. Im Zentrum steht demnach weniger die Geburt selbst als vielmehr die Botschaft der Engel an die Hirten. Innerhalb dieser bildet die Rede der Engel die Mitte (Vv. 10b-12). Sie hat die Form eines prophetischen Heilswortes: Rettung wird angekündigt, begründet und durch ein Zeichen bestätigt. Wieder ist der mittlere Teil am wichtigsten. Dort heißt es: „Heute ist euch der Retter geboren, Christus, der Herr.“ Nirgendwo sonst wird Jesus mit einer solchen Reihung von Titeln benannt. Gerade die Formulierung mit „heute“ und „euch“ in direkter Rede lädt zur Identifikation ein. Die ganze Geburtserzählung zielt darauf, die Menschen dazu bewegen, in dieses Bekenntnis einzustimmen, diesem Satz zuzustimmen und in Jesus den Retter, den Messias (= Christus), den Herrn zu erkennen. Die Hirten haben den Auftrag, diese Erkenntnis dem ganzen Volk zuteil werden zu lassen. So werden sie zu Propheten. Das Finden des Kindes in der Krippe dient als Bestätigung, dass der eigentliche Inhalt des prophetischen Auftrags, die Verkündigung Jesu als Retter, Messias, Herr, richtig ist.
Eine der ältesten erhaltenen Darstellungen einer Krippe findet sich auf dem Sarkophag der Crispina aus dem 4. Jh. Sie ist genau in der Zeit entstanden, in der man in Rom begann, das Weihnachtsfest zu feiern. Die Frage nach dem wahren Wesen Jesu als wahrer Gott und wahrer Mensch bildete den Hintergrund für die Christen, das Weihnachtsgeheimnis theologisch tiefer zu überdenken.
Der Sarkophag zeigt das Kind in einem Futtertrog, umgeben von Ochs und Esel. Am rechten
Rand des Gebäudes stehen zwei Personen, eine mit einem Hirtenstab, die andere mit einer Schriftrolle in der Hand. Aber Maria und Josef fehlen, obwohl sie doch bei Lukas ausdrücklich erwähnt werden. Dagegen kennt die Geburtserzählung bei Lukas weder Ochse noch Esel.
Das Wort „Krippe“, das in jedem Teil des Weihnachtsevangeliums vorkommt, enthält den Schlüssel: Lukas spielt hier auf eine Stelle im Alten Testament an. „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ (Jes 1,3) Mit diesen Worten stellt der Prophet Jesaja den Kontrast zwischen den Tieren, die ganz selbstverständlich wissen, wo sie ihre Nahrung finden und dem Volk Israel, das nicht erkennt, wie Gott für es sorgt. Diesem Satz geht ein Aufruf an Himmel und Erde zu hören voraus. Dadurch bekommt das Wort eine globale Bedeutung. Nicht allein Israel soll die Bedeutung der eigenen Errettung und Erwählung erkennen, sondern die ganze Welt soll verstehen, wo „Futter“ zu finden ist. Die Zuwendung Gottes zum Menschen, die zur Geburt des Kindes führt, ist die Fortsetzung der Zuwendung Gottes zu seinem Volk Israel.
Der Künstler, der den Sarkophag schuf, stellt der Krippe zwei Personen zur Seite: einen Hirten und einen Propheten. Beim ersten Lesen könnte die Verkündigung an Hirten gelesen werden als ein Zufall, passend zum idyllischen Setting der Geburt im Stall. Die Hirten werden heute meist als Vertreter der armen und verachteten Bevölkerung gedeutet. Daran ist richtig, dass es aus der Zeit, in der das Neue Testament entstand, einige Texte gibt, in denen die Hirten schlecht wegkommen. Doch dieses Bild ändert sich, sobald man auch das Alte Testament berücksichtigt. Häufiger als die alltägliche Beziehung des Wortes auf Menschen, die Tiere hüten, wird das Wort als Bild für Personen, die das Volk Israel führen, gebraucht. Denen, die das Volk leiten, wird also die Kunde von der Geburt des Retters verkündet und sie werden dadurch zu Propheten.
Um aber die Bedeutung des Retters wirklich zu verstehen, brauchen diese Propheten nicht nur den Hirtenstab, sondern auch die Schriftrolle. Ohne die Kenntnis der Heiligen Schrift Israels ist das Geschehen in der Krippe nicht einzuordnen.
Mehr als die meisten der uns vertrauten Krippen lädt die Darstellung auf dem Sarkophag der Crispina dazu ein, einerseits wie Ochs und Esel von hierher unser Leben erfüllen zu lassen, andererseits zu Propheten und Prophetinnen zu werden. Der Sarkophag zeigt nicht einfach die Abbildung der Geburtsszene. Er ist eine Aktualisierung: Die Christen sollen sich beim Betrachten der Krippe fragen, welche Bedeutung Jesus für ihr je eigenes Leben hat und wie sie ihrem prophetischen Auftrag, ihn als „Retter, Messias und Herrn“ zu verkündigen, gerecht werden.

Johann Schober, Pfarrer